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News |27.08.2024

Das Energieausweis-Dilemma

Eigentlich ist alles ganz einfach: Willst du eine Wohnung vermieten oder verkaufen, brauchst Du einen Energieausweis – Punkt!
Doch welchen soll man denn wählen? Bedarfsausweis oder Verbrauchsausweis? GEG-konform sind beide und beide sind 10 Jahre gültig.
Der Gesetzgeber macht hier ein paar Vorgaben:
Der Verbrauchsausweis eignet sich bei Gebäuden, die mindestens der Wärmeschutzverordnung von 1977 entsprechen oder mehr als vier Wohneinheiten umfassen. Der Leerstand des Gebäudes darf dabei 30% nicht übersteigen. 
Ein Verbrauchsausweis ist in 10 Minuten online für geringes Geld erstellt. Abgefragt werden dabei die Verbrauchsdaten der letzten drei Heizperioden. Das ist zugleich die Schwäche des Verbrauchsausweises. Das Ergebnis ist abhängig von der Leerstandssituation und vom Verbrauchsverhalten der Mieter. Nehmen diese jeden Tag ein Vollbad und heizen im Winter bei offenem Fenster, ist ein entsprechend schlechtes Ergebnis zu erwarten.
Ein Bedarfsausweis ist verpflichtend, wenn der Bauantrag für die Immobilie vor November 1977 erstellt wurde und weniger als fünf Wohneinheiten umfasst. Der Bedarfsausweis zielt auf den theoretischen, physikalischen Wärmebedarf des Baukörpers ab und kann daher auch für jeden anderen Bautyp und jedes Baualter einer Immobile nach objektiven Kriterien ausgestellt werden. Verbrauchsdaten finden dabei keine Berücksichtigung. 
Nachteil ist, dass der Bedarfsausweis nur durch einen Experten (zertifizierter Energieberater) erstellt werden kann/soll, der hierfür die Immobilie besichtigt und sich mit den technisch/physikalischen Eigenschaften der Gewerke auseinandersetzt. Das geht natürlich mit einem deutlich höheren Kostenaufwand einher. Dafür erhält man aber, je nach gebuchtem Service, auch Vorschläge für die energetische Verbesserung des Bewertungsobjektes oder sogar einen individuellen Sanierungsfahrplan (iSFP) mit einhergehender Kostenschätzung.
Auch die KENSTONE ermöglicht ihren Gutachtern die Weiterbildung zu zertifizierten Energieberatern, um vorgelegte iSFP fachgerecht qualifizieren und gegebenenfalls selbst erstellen zu können.
Beide Ausweistypen liefern mit ihren Stärken und Schwächen somit lediglich Annäherungswerte für die tatsächliche energetische Disposition einer Immobilie. Der Gesetzgeber und die bei einem Immobilienerwerb Beteiligten sehen beide Ausweistypen als gleichwertig an.

Ist das wirklich so?

Das Researchinstitut des Verbands deutscher Pfandbriefbanken e.V., vdpResearch, hat hierzu eine Auswertung von vorgelegten Energieausweisen bei Immobilienfinanzierungen seiner Mitgliedsinstitute erstellt. Die Auswertung von 950.168 Bedarfsausweisen für Eigenheime in Deutschland ergab folgendes vernichtendes Bild der Verteilung von Energieeffizienzklassen:

Demnach weist nahezu die Hälfte des deutschen Eigenheimbestandes eine Energieeffizienzklasse der schlechtesten Ausprägungen G und H auf. 
Dies hat natürlich enorme Auswirkungen an künftige Sanierungserfordernisse des Gebäudebestandes, nach den Anforderungen der EU Gebäuderichtlinie EPBD. Diese enthält zwar in der letzten Version nur noch für Nichtwohngebäude konkrete, individuelle Sanierungspflichten, aber auch für den gesamten Wohnungsbestand sind allgemeine Vorgaben zur Reduktion des Energieverbrauchs enthalten.
Ein anderes Bild zeigt die Auswertung von bei der Finanzierung vorgelegten Verbrauchsausweisen - immerhin auch 661.497 Stück.  Demnach ergibt sich folgendes Bild der Verteilung der Energieeffizienzklassen von Eigenheimen in Deutschland:

Danach liegen rd. 50% des Eigenheimbestandes in den Effizienzklassen C bis E. Das verwundert doch sehr, sollten doch als gleichwertig betrachtete und anerkannte Ausweise auch ein in etwa übereinstimmendes Bild der energetischen Disposition unseres Gebäudebestandes liefern.
Woran kann das nun liegen? Da fallen mir 2 Gründe ein:

  •  Bewohner von schlecht wärmegedämmten Wohnungen gehen in der Regel extrem sparsam mit dem Energieverbrauch um.

Oder

  • Die Bewertungskriterien für den theoretischen Energiebedarf sind hemmungslos überzogen, ungefähr so, als würde der Gesetzgeber der Autoindustrie vorschreiben, nur noch den theoretischen Kraftstoffbedarf eines Fahrzeugs bei einer Reisegeschwindigkeit von 180 km/h auszuweisen. (Ein Schelm, wer dahinter politisches Kalkül vermutet 😉)

Nachdem aber das erklärte Ziel aller Umweltinitiativen ist, den tatsächlichen CO2-Ausstoß zu mindern, kann und darf eigentlich nur die Verbrauchsmessung als Grundlage aller Gesetzesinitiativen zur Schadstoffminimierung dienen, denn ein theoretischer Bedarf erzeugt kein einziges Gramm CO2.

Aber das Thema geht noch weiter, blickt man auf die energetischen Anforderungen, die an Neubauten gestellt werden. Hier lässt sich der zukünftige CO2-Fußabdruck – und damit die Genehmigungsfähigkeit eines Bauvorhabens - nur über Berechnungsverfahren ermitteln, wie sie dem Bedarfsausweis entsprechen. Die Möglichkeit der Erstellung eines Verbrauchsausweises scheidet hier natürlich aus, da keine dreijährige Verbrauchshistorie zur Verfügung steht. Führt aber die Bedarfsberechnung zu einem völlig überhöhten theoretischen Bedarf, sind die geforderten bautechnischen Energieeinsparungs¬maßnahmen grundsätzlich überdimensioniert. Nachdem heute rd. 30% der Baukostensteigerungen seit 2002 (gemäß ARGE Kostenindex) in den erhöhten Anforderungen an die Energieeffizienz begründet liegen, liegt hier eine Stellschraube und damit die Chance, mittels besonnener Rücknahme überzogener Vorgaben an die Bauausführung, private Immobilieninvestitionen wieder zur forcieren.

Autor: Dr. Michael Brandl

Quellen: vdpR; eigene Darstellung